Die Qualitätssicherung ist ein wichtiger Bestandteil heutiger Produktionsprozesse – insbesondere in Hochlohnländern wie Deutschland. Doch oft steht für die Qualitätssicherung pro Bauteil nur wenig Zeit zur Verfügung. Ein effektiver Ablauf ist daher essentiell. Die Digitalisierung der Prüfdokumentation bietet dabei nicht nur Möglichkeiten schlankerer und schnellerer Prozesse. Indem der gesamte Prüfprozess im Rahmen einer Digitalisierung neu gedacht wird, kann auch das Prüfen selbst intuitiver, schneller und fehlerfreier geschehen.
Im Rahmen des Fraunhofer „Cluster of Excellence Cognitive Internet Technologies“ (CCIT) und in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) entwickelte das Fraunhofer IOSB den Demonstrator QSelect, der den Prüfungsprozess für lackierte und unlackierte Bauteile mit grundlegenden Innovationen anreichert. Seit 2012 arbeitet das Fraunhofer IOSB im Produktionsumfeld an innovativen Lösungen zur Unterstützung des Menschen bei seiner Arbeit. Heute verknüpft QSelect viele der entstandenen Technologien in einem Prüfplatz, der die Dokumentation von gefundenen Defekten präzise und schnell mittels Laserpointer, Gesten und Sprache direkt auf der Bauteiloberfläche erlaubt. Der Zeitaufwand für eine separate, nachfolgende Dokumentation entfällt somit komplett. Und dank der Fehlerdokumentation direkt während des Prüfprozesses wird die Wahrscheinlichkeit für Fehlerschlupf auf ein Minimum reduziert.
Motivation
Vorgänger des Systems unterstützten bislang nur die Fehlereingabe mit Hilfe von Zeigegesten. Grundlegender Nachteil hierbei: Zeigegesten eignen sich zwar hervorragend, um intuitiv den Fehlerort zu markieren, allerdings kann mit einer einzelnen Zeigegeste nicht zwischen verschiedenen Fehlerarten unterschieden werden. Um weiterführende Informationen dokumentieren zu können müssen weitere Kommunikationskanäle die Zeigegeste ergänzen. Handliche Tasten, die den Prüfer bei seiner Arbeit nicht behindern, bieten sich hierfür an, oder eine robuste Spracherkennung, mittels der der Prüfer den Fehlertyp dem System beim Zeigen diktieren kann. QSelect bietet alle drei Optionen und lässt dem Prüfer die intuitive Auswahl. Um eine möglichst vielfältige Anzahl unterschiedlicher Fehlerarten zu unterstützen, kann das System mit einem einfachen Web-Interface konfiguriert werden und es können neue Fehlertypen hinzugefügt werden. Großer Vorteil einer voll konfigurierbaren und fehlerschlupfminimierenden, digitalen Dokumentation: Gehäufte Vorkommen von Fehlertypen lassen sich nun durch eine statistische Auswertung der Dokumentation automatisch erkennen und ggf. schnell auf mögliche Ursachen zurückverfolgen.
Vielseitig konfigurierbar
Das System besteht aus einer oder mehreren Kameras, Mikrofonen, einem Projektor und optional einem Laserpointer mit integrierten Tasten. Durch das integrierte Web-Interface kann grundsätzlich auch ein Tablet zur Fehlereingabe genutzt werden.
Das integrierte Kamerasystem dient dazu, den reflektierten Lichtpunkt des Laserpointers bzw. die Zeigegesten des Prüfers zu erkennen und die so angezeigte Position auf der Bauteiloberfläche in 3D-Koordinaten relativ zum Bauteilursprung umzurechnen. So erfolgt eine hochpräzise, millimetergenaue Angabe der Fehlerposition, die in einem digitalen Zwilling bzw. CAD-Modell des Bauteils gespeichert werden kann.
Durch den Projektor können auf der Bauteiloberfläche Anzeigeelemente zur detaillierten Auswahl von Fehlertyp, Fehlergrad usw. dargestellt werden. Der Projektor dient als Alternative zum dauerhaften Tragen einer Augmented-Reality-Brille, die der Prüfer möglicherweise als unbequem, schwer und Sichtfeld-einschränkend empfindet. Die Anzeige in einer AR-Brille ist jedoch ebenso möglich und bietet den Vorteil, dass die Darstellung der Anzeigeelemente nicht vom Umgebungslicht und der Lackoberfläche des Bauteils beeinflusst wird.
Breites Einsatzspektrum
QSelect ist nicht nur flexibel in der Bedienung. Durch die unterschiedlichen Möglichkeiten des Systemaufbaus lässt es sich auch für verschiedenste Zwecke einsetzen. Typische Anwendungsfelder sind die Lackierung mit der Prüfung auf Lackfehler oder die Metallverarbeitung mit der Prüfung auf Risse in den Bauteilen. Aber auch Spritzgruß-Teile können mit Hilfe von QSelect einfacher auf Defekte geprüft werden. In der manuellen Montage und Qualitätsprüfung stellt das System eine digitale Unterstützung für den Prüfer dar und macht dessen Arbeit schneller, genauer und entspannter.
Besonders für Bauteile, bei denen automatische Prüfverfahren nicht möglich sind oder bei Kleinserien, kann QSelect die Fehlerdokumentation deutlich erleichtern. Das System eignet sich für alle Bauteile, bei denen viel Fläche und dadurch Projektionsmöglichkeiten vorhanden sind.
Wie das System arbeitet
Bei der Prüfung befindet sich das jeweilige Bauteil in einer dafür konstruierten Halterung und wird so optimal und präzise vom Kamerasystem erfasst. Dank der eingebauten Projektion von oben können vorweg bekannte Fehlerstellen oder Areale mit hoher Fehlerwahrscheinlichkeit auf dem Bauteil markiert werden, um den Blick des Prüfers von Beginn an zu lenken. Der Prüfprozess beginnt, indem der Prüfer das Bauteil kontrolliert.
Zur Dokumentation gefundener Defekte kann der Prüfer per Zeigegeste oder Laserpointer direkt auf die Fehlerstelle zeigen und ohne weitere Eingabeschritte einen Eintrag ins System auslösen. Sofort zeigt der Projektor um den markierten Punkt ein Auswahlmenü mit den möglichen Fehlertypen. Durch Auswahl des entsprechenden Eintrags oder Ansage des Fehlertyps wird der Fehler bestätigt. Fehlerposition und -typ werden gemeinsam in einem 3D-Modell bzw. einem digitalen Zwilling des Bauteils gespeichert. Bei der späteren Nachbesserung des Bauteils können dokumentierte Fehlerstellen damit einfach nachvollzogen und in QSelect erneut auf dem Bauteil visualisiert werden.