Selbstorganisierende, flexible Produktion statt Fließband: Studie zur Autofabrik der Zukunft erschienen

Wie kann die Automobilproduktion in Zeiten immer größerer Variantenvielfalt und immer schnellerer Produktzyklen wettbewerbsfähig bleiben? Die neue Studie »At the end of the line – How automakers can embrace flexible production« sieht die Lösung zumindest für das Premiumsegment in einer intelligent vernetzten, sich selbst organisierenden Fertigung. Das bedeutet ein Umdenken gegenüber dem heute etablierten Perlenketten-Prinzip, wie die Studienautoren von Strategy& Deutschland, der Strategieberatung von PwC, und dem Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB schreiben. Der Aufwand könne sich aber binnen kürzester Zeit amortisieren.

Einer der Anwendungsfälle von Industrie 4.0 ist die ‚Selbstorganisierende Produktion‘. Schon in den ersten Dokumenten zu Industrie 4.0 findet sich die Vision, dass „intelligente Produkte (…) durch ihre Ad-hoc-Vernetzungsfähigkeit sowie durch Mitführung einer digitalen Produktbeschreibung dazu befähigt (sind), sich eigenständig durch die Produktion zu steuern“ [1]. In einigen Fabriken sind schon erste Anwendungsbeispiele zu sehen, wenn zum Beispiel fahrerlose Transportsysteme (FTS) Werkstücke zum nächsten freien Montagearbeitsplatz transportieren.

Um die Jahrtausendwende war diese Idee einer selbststeuernden Produktion schon einmal aktuell, ausgelöst von der damaligen Technologie sog. Softwareagenten [2, 3]. Aus vielerlei Gründen hat sich diese Technologie zur Fertigungssteuerung jedoch nicht durchgesetzt: so waren die Rechnerleistung und das Vertrauen in selbstorganisierende Einheiten in der Fabrik zu gering. Die Automobilindustrie hat in Karosseriebau, Lackierung und Montage seit längerem das Steuerungsprinzip der Perlenkette [4] eingeführt, und zwar durchgängig bis zur sog. Just-in-Sequence-(JIS)-Anlieferung von Bauteilen, die der jeweiligen ‚Perle‘, also einem konkreten Fahrzeug, zugeordnet sind. Durch die zunehmende Vielfalt von Fahrzeugtypen, -varianten und –derivaten stößt dieses Prinzip allerdings an Grenzen: der Platz zur Teilebereitstellung am Band, die Austaktung auf eine mittlere Taktzeit und der schwankende tatsächliche Arbeitsinhalt eines konkreten Taktes sowie die Forderung nach hoher Wandlungsfähigkeit erfordern neue Steuerungsprinzipien.

Vor allem die Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009 hat verdeutlicht, dass die installierte Basis an Produktionstechnik und Steuerungsprinzipien der Automobilhersteller bei schwankendem Absatz zu einem Problem bei der Deckung der Fixkosten führen kann. Vor allem die aktuell eingesetzten automatisierten Betriebsmittel sind dafür die Ursache: sie sind auf spezielle Baureihen, Motorvarianten oder Montageumfänge ausgelegt und zu unflexibel, um im Extremfall, d.h. bei ausbleibender Auslastung, anderweitig genutzt werden zu können. Dieser Herausforderung muss die Automobilproduktion in den kommenden Jahren begegnen.

Es ist also für die zukünftige Automobilproduktion erforderlich, automatisierte Anlagen zu flexibilisieren, z.B. durch stärker universell einsetzbare Betriebsmittel, und/oder Fertigungslinien so zu modularisieren, dass skalierbare universelle Betriebsmittel schnell und ohne hohen Engineering-Aufwand für neue Fertigungs- und Montageaufgaben zusammengebaut und konfiguriert werden können.

[1] acatech (Hrsg.): Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 – Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0, April 2013
[2] Sauer, O.; Sutschet, G.: Production Monitoring linked to object identification and tracking – a step towards real time manufacturing in automotive plants. In: Teti, R. (Ed.): Proceedings of the 5th CIRP International Seminar on Intelligent Computation in Manufacturing Engineering, Ischia (Italy): 2006, pp. 321-326.
[3] Bussmann, S.; Schild, K.: Self-Organizing Manufacturing Control: An Industrial Application of Agent Technology. In Proc. of the 4th Int. Conf. on Multiagent Systems (IC-MAS’2000), Boston, MA, USA, 2000, pp. 87-94.
[4] Weyer, M.; Spath, D.: Das Produktionssteuerungskonzept „Perlenkette“. Herausforderungen und Handlungsempfehlungen der Implementierung. ZWF Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb; 2009, Nr. 12; S. 1126-1130.

Die Studie erhalten Sie hier zum Download: https://www.strategyand.pwc.com/de/at-the-end-of-the-line.html

03.03.2021

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